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  • Blue Nile Sailing Club in Khartum

    Mit einem Tag Verspätung treffen wir schließlich doch noch im Blue Nile Sailing Club in Khartum ein. Außer einer Handvoll Motorradfahrern, unter anderem dem sympathischen kölschen Jung Werner, den wir erstmals in Assuan an der Fähre getroffen haben, ist kein Afrikafahrer da. Diejenigen, die hier Halt gemacht haben, waren alle schon ein paar Tage vor uns da und sind dann weitergefahren. Allzu viel verpasst haben wir also nicht.

    Blue Nile Sailing Club

    Der Blue Nile Sailing Club ist ein elitäres Überbleibsel aus der britischen Kolonialzeit: ein am Blauen Nil gelegener Yachtclub in Karthum. Auf dem Parkplatz sieht man ständig für sudanesische Verhältnisse luxuriöse Autos und reiche Menschen, die sudanesische Oberklasse. Der Befreiung des Sudan vom britischen Kolonialherrn zum Trotz, führen sie den kolonialen Lebensstil fort. Schließlich waren sie es, die an der Seite der Briten von der Kolonialisierung profitiert haben. Es scheint wie Ironie, dass auf dem Clubgelände ein Kriegsschiff mit tragischer Historie liegt. Die 50 Meter lange T. S. S. Melik wurde 1888 von der britischen Krone nilaufwärts gesandt, um den Tod General Gordons zu rächen. Mit der heute noch auf dem Bug stehenden Maximkanone, die damals zu den modernsten Kriegsmitteln gehörte, wurden tausende Freiheitskämpfer getötet. Kein Wunder, dass die Briten im Sudan nach wie vor nicht sonderlich gerne gesehen sind. Davon zeugt die Ermordung eines Angestellten der Britischen Botschaft, die sich nur ein oder zwei Tage zuvor ereignet hat. Er wurde erschossen.

    Auf sein Ansehen unter den Kolonialzeitanbetern bildet der Club sich einiges ein. Den Campern begegnet man mit Arroganz und Überheblichkeit, obwohl das Areal nicht viel mehr als ein bewachter Parkplatz mit Duschen, Toiletten und Waschbecken ist. Die Einrichtungen sind verdreckt und werden von den Angestellten aus Bangladesh mitbenutzt. Die Bangladeschis sind es beim Toilettengang gewöhnt, in kleine Löcher im Boden zu zielen, aber nicht in eine Kloschüssel. Außerdem fragt man sich, was sie essen, um ihre Verdauung derart anzuregen. Scheinbar vertragen sie ihr eigenes, scharfes Essen nicht. Die Männertoilette sieht so aus, als wäre darauf jemand explodiert – und es riecht auch so…

    Klingt alles nach guten Gründen, die Preise zu erhöhen. Warum nicht gleich verdoppeln? Genau das ist nämlich von gestern auf heute passiert. Preislich hat sich der Club damit an europäische Standards angenähert. Wir nehmen uns den Manager vor und erklären ihm, dass die gebotene Leistung aber nicht europäischer, sondern afrikanischer Standard sei. Er könne sich überlegen, ob er mit dem Preis runtergehe, oder ob wir gleich wieder fahren sollten. Von der Formulierung „afrikanischer Standard“ ist er sichtlich getroffen, schließlich ist man im Club stolz darauf, den Europäern näher zu stehen als den Afrikanern. Er bietet einen preislichen Kompromiss an, und wir gehen darauf ein, aber auch nur, weil es auf dem Parkplatz ein paar schattenspendende Bäume, ein offenes Funknetzwerk (und damit Internetzugang) und frisch gemachte Fruchtsäfte gibt. Das alles ist hier ein nicht zu unterschätzender Luxus. Letztlich bleiben wir aber auch aus Bequemlichkeit, denn die Strecken von Wadi Halfa nach Khartum waren enorm kräftezehrend. Beim nächsten Mal würden wir allerdings gleich zu einem anderen Campingplatz in Khartum fahren, denn es gibt eine kostengünstigere Alternative.

    Blue Nile Sailing Club

    Was gibt es sonst noch von Khartum zu berichten? Zum Beispiel, dass man in den Straßen Khartums ständig Fahrzeuge von Hilfsorganisationen sieht, allen voran den Vereinten Nationen, dem Roten Kreuz und den Ärzten ohne Grenzen. Sie nutzen Khartum als Basis, um die Lage im Krisengebiet Darfur und im bürgerkriegsgeschüttelten Süden des Sudans zu beobachten beziehungsweise Hilfseinsätze zu koordinieren. Doch das Aufgebot hat auch einen negativen Nebeneffekt: Da einige der Organisationen im Geld zu schwimmen scheinen, haben sie die Mieten und Preise hochgetrieben: es herrschen nahezu europäische Verhältnisse. Daneben kann man beobachten, wie die ersten westlichen Konzerne schon dabei sind, ihre Territorien abzustecken. Dazu gehören allen voran die großen Tankstellenketten Shell und Total und die Erfrischungsgetränkehersteller Coca Cola und Pepsi. Besonders Pepsi führt im Sudan derzeit einen gigantischen Werbefeldzug. Auch McDonalds, Burger King, Kentucky Fried Chicken und Pizza Hut dürften nicht mehr lange auf sich warten lassen.

    Blue Nile Sailing Club

    Unterdessen zeugt die sudanesische Geschäftstüchtigkeit von großer Unschuld. Als wir zu einer Versicherungsgesellschaft gehen, um uns die so genannte Yellow Card – die gelbe Unfallhaftpflichtversicherungskarte – zu besorgen, die wir ab Äthiopien brauchen und die das afrikanische Pendant zur europäischen Grünen Versicherungskarte darstellt, werden wir von einem freundlichen, aber völlig hilflosen Mitarbeiter empfangen. Wir erklären ihm unser Anliegen, und er beginnt, in einem dicken Aktenordner zu blättern – Blatt für Blatt, Blatt für Blatt, Blatt für Blatt, ganz bedächtig… Als er endlich am Ende angelangt ist, beginnt er wieder von vorne – Blatt für Blatt, Blatt für Blatt, Blatt für Blatt… Unterdessen füttert sein unterbeschäftigter Kollege am Nebenplatz mit dem hilflosesten Gesichtsausdruck, den wir jemals gesehen haben, die virtuellen Fische seines Bildschirmschoners. Dann holt unser Kollege einen zweiten Ordner hervor, und das Prozedere wiederholt sich in ungesteigertem Tempo. Nachdem er es zum zweiten Mal durchexerziert hat, hat er endlich ein Einsehen und greift zum Telefon, um seinen Vorgesetzten anzurufen. Dieser erklärt ihm schließlich, dass die Gelbe Versicherungskarte bei ihnen gar nicht erhältlich ist. Nach einer Stunde des Wartens war das nicht unbedingt das, womit wir gerechnet hatten.

    Schön war auch das Einkaufen in Khartum. Der vom westlichen Warenangebot und unendlich vielen möglichen Kaufentscheidungen oft gequälte und überforderte Geist, wird im Sudan geschont. Viele, auch anscheinend einfache Dinge wie Butter sind oft gar nicht erhältlich. Und wenn es etwas gibt, dann in der Regel auch nicht verschiedene Varianten oder Marken, die die Kaufentscheidung komplizieren könnten. Der Afra-Markt ist der größte Supermarkt im Sudan, doch auch er bietet nur ein äußerst begrenztes Warenangebot. Ganze Regalreihen sind gefüllt mit ein und demselben Produkt. Damit die Reihen nicht allzu leer aussehen, stehen die Produkte im Regal nicht hintereinander aufgereiht, sondern nur neben-, über- und untereinander. Unterdessen erwarten den westlich denkenden Kunden in den kleineren Shops erfrischende mathematische Überraschungen. Wer eine größere statt einer kleineren Menge einer Ware kauft, geht in der Regel davon aus, es koste ihn weniger oder höchstens genauso viel wie die kleinere Menge. Im Sudan ist das anders. Als wir in einem Shop ein Duzend Eier kaufen wollen, zögern wir wegen des hohen Preises und erkundigen uns nach dem Preis für nur ein halbes Duzend Eier. Zu unserer Verwunderung nennt man uns einen geringeren als den halben Preis. Wir vermuten zunächst einen Irrtum und versuchen, den bemitleidenswerten Verkäufer mathematisch ein wenig aufzuklären, doch er lässt sich nicht beirren. „Gut, dann hätten wir eben gerne zweimal sechs statt einmal zwölf Eier!“