Schlagwort: Asien

  • Anatolien

    Auf dem Weg zur nächsten Sehenswürdigkeit Göreme geht es hinauf zur Hochebene von Anatolien. Inzwischen sind wir die ersten 10.000 Kilometer gefahren, und die Türkei zeigt hier ein völlig anderes Gesicht, landschaftlich wie kulturell. Eine endlos weite, einsame und karge Ebene, die von Landwirtschaft geprägt ist, erstreckt sich nach allen Seiten. Die Felder sind abgeerntet, die Äcker bestellt. An sich trostlos, aber im herbstlichen Licht bieten sich faszinierende Farbenspiele, und über unseren Köpfen kreisen riesige Vogelschwärme, die sich für die Abreise zu ihren Winterquartieren sammeln.

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    Die Menschen hier sind Bauern, in den westlichen Ausläufern Anatoliens Obstbauern, und in den zentralen Regionen Ackerbauern. Sie leben großenteils noch in einfachen Lehmhütten. Sie sind zurückhaltend, aber freundlich und hilfsbereit, wenn wir nach dem Weg fragen. Viele von ihnen haben jahrelang in Deutschland gelebt und mussten später in ihre Heimat zurückkehren, als ihre Asylanträge nach schier endlosem Hin und Her abgelehnt wurden. Manch einer von ihnen war zehn Jahre und länger in Deutschland, bevor er abgewiesen wurde, und kann sich selbst nach so langer Zeit trotzdem kaum in Deutsch verständigen. Sie sind Zeugen einer Einwanderungs- und Integrationspolitik, die auf ganzer Linie versagt hat.

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    Bevor wir nach Göreme fahren, machen wir einen Schlenker zu einem großen Salzsee im Herzen der Türkei und Anatoliens: dem Tuz Gölü. Der Tuz Gölü ist einer der salzhaltigsten Seen der Erde und mit 1.500 Quadratkilometern Fläche der zweitgrößte Binnensee der Türkei. Er ist 100 Kilometer lang, 50 Kilometer breit und nur 2 Meter tief. Gespeist wird der zu- und abflusslose Tuz Gölü von Niederschlägen und Grundwasser.

    Am Vorabend haben wir vergeblich versucht, direkt an den Tuz Gölü zu gelangen. Die einzige Straße, die zum Tuz Gölü hinzuführen schien, endete vor einer Absperrung.
    Eine weitere Abzweigung führte uns in ein kleines anatolisches Bauerndorf mit vielleicht einem Dutzend Häusern. Keine gute Idee, hier bei Dunkelheit hinein zu fahren. Das Dorf schien wie ausgestorben, die Menschen waren in ihren Häusern und saßen wohl beim Essen zusammen. Nur zwei große Hunde wurden auf uns aufmerksam und fingen an, wie verrückt und rasend vor Wut zu bellen. Wir kehrten um und sahen zu, dass wir wieder zur Hauptstraße kamen. Wie im Blutrausch hetzten die Hunde noch eine ganze Weile neben unserem Wagen her und versuchten, vor ihn zu springen und uns zum Anhalten zu zwingen. Ich musste kräftig Gas geben. Erst bei 50 Stundenkilometern schafften wir es langsam, sie abzuhängen. Wie Verbrecher kamen wir uns vor.
    Wir sind dann noch ein Stück die Hauptstraße weiter entlang gefahren, bis wir schließlich eine Tankstelle gefunden hatten, an der wir übernachten konnten.

    Am Morgen unternehmen wir einen weiteren Anlauf, um an den See zu gelangen. Diesmal wollen wir es auf mehr oder weniger direktem Weg über Feldwege versuchen, die von der Hauptstraße abführen. In der Nacht hat es leicht geregnet, aber die Feuchtigkeit scheint im ausgedörrten Boden verpufft zu sein. Wir schalten den Allrad ein und unternehmen einige Versuche, aber die Wege enden entweder irgendwo im Nichts oder an einzelnen Höfen, und wir wollen nicht schon wieder unangenehm auffallen.
    Von einem Dorf aus wollen wir es ein letztes Mal versuchen. Irgendwo muss es doch einen Zugang zu diesem verdammten See geben. Wieder erwecken wir die Aufmerksamkeit von zwei frei herumlaufenden und ziemlich aggressiven Hunden, und wieder müssen wir kräftig Gas geben.
    Wir kommen an einem einzelnen, etwas vom Dorf abgelegenen Haus vorbei. Ein Mann tritt heraus und scheint freundlich zu winken. Wir winken zurück und fahren weiter, bis unser Sprinter nach einigen hundert Metern in einer leichten Kurve plötzlich geradeaus geht und sich nicht mehr steuern lässt. Ich lenke ein, der Sprinter stellt sich quer, rutscht aber weiter geradeaus, ich lenke gegen, der Sprinter stellt sich in der anderen Richtung quer und rutscht immer noch weiter geradeaus. Im ersten Moment denke ich, jetzt hat sich die Lenkung verabschiedet, aber dann sehen wir, dass der Boden an dieser Stelle vom Regen der Nacht noch ganz matschig ist. Wir befinden uns in einer leichten Senke, in der sich das Wasser gesammelt und den Boden aufgeweicht hat.
    Ich bekomme den Wagen mit nun nur noch leichten Lenkbewegungen wieder einigermaßen in den Griff und es geht weiter geradeaus. Aber in 50 Metern kommt eine 90-Grad-Kurve, und dort ist der Matsch ausgerechnet am tiefsten. Wenn wir stehen bleiben, befürchten wir, sinken wir ein. Was jetzt? Vor unserem geistigen Auge sehen wir uns schon reumütig zum Dorf zurück laufen und an den durchdrehenden Hunden vorbei einen Bauern suchen, der uns mit einem Traktor aus dem Matsch zieht. Bloß das nicht. Besonders der Teil mit den Hunden gefällt uns gar nicht, und wir wissen auch nicht, was wir von den Menschen hier zu erwarten haben, wenn wir bei den Tieren schon so unwillkommen sind. Aber es nützt nichts, wir müssen irgendwie versuchen, um diese Kurve herum zu kommen, danach zu drehen und dabei nicht stehen zu bleiben.
    Wie zu erwarten war, geschieht aber kein Wunder, und in der Kurve ist Schluss mit dem Vorankommen. Ich steige aus und stehe im Matsch. Die Profile unserer Reifen sind komplett zugeschmiert mit dem lehmigen Matsch. Kein Wunder, dass es sich wie auf Glatteis fuhr. Allerdings ist die matschige Schicht nur wenige Zentimeter tief, und darunter befindet sich fester Untergrund. Der Sprinter ist nicht weiter eingesunken. Vielleicht schaffen wir es rückwärts wieder raus. Ich klemme mich wieder hinter das Lenkrad und versuche langsam anzufahren, was dann auch bei vorsichtigster Dosierung des Gaspedals tatsächlich gelingt. Nun langsam aber stetig zurück, dabei ja auf dem Weg und nicht stehen bleiben, denn neben dem Weg gibt es keinen festgefahrenen Untergrund unter der Schlammschicht, und da wir ja in eine Senke hinein gefahren sind, geht es zurück ganz leicht bergauf. Jeder Meter kommt mir vor wie eine kleine Ewigkeit. Doch nach 250 endlosen Metern haben wir endlich wieder trockenen Untergrund unter den Rädern.
    Der Bauer von vorhin kommt uns entgegen und bedeutet uns, dass es keine gute Idee war, in die Senke hinein zu fahren. Das hatte er uns vorhin also mit seiner Geste sagen wollen. Aber er ist überaus freundlich und zeigt uns mit seinem Wagen eine Abkürzung zurück zur Hauptstraße. Darüber sind wir sehr froh, denn das erspart uns, wieder an den Hunden vorbei zu müssen. Außerdem erklärt er uns, dass wir wieder dorthin zurück müssen, wo wir es am Vorabend schon einmal versucht hatten und vor einer Absperrung geendet waren.
    Die Absperrung stellt sich bei Tageslicht als Zugang zum Betriebsgelände eines Salzwerks heraus, und das Salzwerk wiederum bietet weit und breit den einzigen Zugang zum See, sofern man sich nicht den weiten Weg um den See herum ans gegenüberliegende Ufer machen will.

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    Soweit, so gut. Die Probleme der letzten beiden Tage sollten für die nächste Zeit gereicht haben, und nun haben wir ja endlich auch den Salzsee gesehen. Also fahren wir weiter Richtung Göreme. Doch noch auf dem Weg dorthin holt uns in gewisser Weise unser Hupenproblem wieder ein. Doch das wird sich erst später herausstellen.
    Als wir zwischendurch an einem Geldautomaten halten und den Sprinter abstellen, vernehmen wir plötzlich ein lautes Vibrieren, das wir zunächst nicht lokalisieren können. Es könnte auch von draußen kommen. Also fahren wir weiter. Doch beim nächsten Halt hören wir das Vibrieren wieder. Muss wohl doch etwas am Sprinter sein. Es stellt sich heraus, dass das Vibrieren aus dem Elektrikkasten unter dem Fahrersitz kommt. Eines der Relais vibriert heftig. Was soll das denn?
    Wir fahren an eine Tankstelle und erklären das Problem. Dort kann man uns zwar nicht weiterhelfen. Aber man weiß uns eine Boschwerkstatt zu nennen, die uns mit dem Elektrikproblem weiterhelfen kann. Diese finden wir dann auch und wollen unser Problem demonstrieren. Natürlich rührt sich jetzt nichts, aber ich beschreibe das Problem und verweise beharrlich auf das Relais. Ein fachkundiger Elektriker sieht sich das Relais an und stellt fest, dass ein weißes Kabel dorthin führt und es sich um eine Modifikation handeln muss. Alle werksseitig verbauten Kabel sind schwarz oder rot (für Plus und Minus).
    Also erkläre ich sämtliche Umbauten elektrischer Natur, was bei uns allein schon wegen der Solaranlage nicht wenige sind. Außerdem fällt mir unsere zusätzliche Pressluftfanfare ein, die ich nach dem Wassereinbruch erfolglos zu reparieren versucht hatte. Sie stellt sich schließlich auch als das Corpus Delicti heraus. Ich beschreibe ausführlich die Funktionsweise der komplizierten Schaltung, denn wir haben oben beim Bett noch einen zusätzlichen Knopf, über den wir die Fanfare betätigen können, wenn sich jemand an unserem Wagen zu schaffen machen sollte, während wir darin schlafen. Die Fanfare geht dann ununterbrochen, bis man den Zündschlüssel ins Schloss steckt und auf Zündung dreht.
    Nach zwei Stunden Tüfteln und Testen funktioniert dann unsere Fanfare endlich wieder. Was für ein schönes und lange nicht gehörtes Geräusch! Aber am Relais selbst war anscheinend nichts, oder vielleicht doch?
    Alles selbst noch schnell getestet, für gut befunden, bezahlt und endlich nach Göreme. Auf dem dortigen Parkplatz suchen wir uns eine Ecke, stellen den Sprinter ab und machen den Motor aus. Und da ist es auf einmal wieder, das vertraute, weithin deutlich hörbare Geräusch unserer Fanfare – allerdings einem denkbar schlechten Zeitpunkt. Die Touristen ringsum verdrehen die Köpfe und rollen mit den Augen. Wie peinlich, was jetzt? Motor wieder angelassen, und Gott sei dank hört das Hupen auf. Aber lösen tut das unserer Problem natürlich nicht. Ist also doch auch etwas mit dem Relais.
    Also zurück zur Werkstatt. Artig schrillt die Fanfare, als wir den Motor abstellen. Wenigstens das. Der Elektriker rauft sich beinahe die Haare und nimmt sich des Relais an. Er vertauscht zwei der Relais und meint, nun müsste es funktionieren. Für wie blöd hält der uns? Er hat wohl keine Lust mehr und möchte endlich Feierabend machen. Wenn tatsächlich etwas mit dem Relais ist, dann müssten wir nun ja an anderer Stelle ein Problem haben.
    Nach langer Diskussion kaufen wir ein Ersatzrelais, damit wir uns nicht gleich das nächste Problem ins Haus holen. Aber auch mit dem Ersatzrelais tritt unserer Problem gleich wieder auf, als wir aus der Werkstatt herausfahren und am Straßenrand nochmals testweise den Motor abstellen. Es muss also doch noch etwas anderes ein. Widerwillig muss sich der Elektriker des Problems wieder annehmen, und nach langem Hin und Her findet er tatsächlich die Ursache. Das weiße Kabel war an einer versteckten Stelle von einer Werkstatt in Gingen bei Göppingen („direkt an der B10“) nicht sachgemäß verlötet worden. Im Laufe der Zeit hatte dies zu einem Wackelkontakt und der Fehlfunktion des Relais geführt. Aber immerhin funktioniert unsere Fanfare jetzt endlich wieder, und zwar wenn wir es wollen!

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    Und am Abend erreichen wir tatsächlich auch noch Göreme.