Krank im Itegue Taitu Hotel in Addis Abeba

Christiane hat es erwischt: die ganze Nacht Fieber, Durchfall, Magenkrämpfe, Übelkeit und Kopfschmerzen. Sie ist völlig geschwächt – so sehr geschwächt, dass ich mir ernste Sorgen mache. Nicht einmal einen Schluck Wasser kann sie zu sich nehmen, ohne dass sie gleich auf’s Klo rennen muss. Wenn das so weiter geht, dehydriert sie noch völlig.

Eigentlich wollten wir heute schon wieder raus aus Addis Abeba – die Stadt lädt nicht sonderlich zum Verweilen ein. Aber immerhin haben wir ein rasend schnelles, offenes Funknetzwerk gefunden und konnten das erste Mal eine Videokonferenz mit meiner Familie machen. Das hat richtig gutgetan. Wenn man sich nach so langer Zeit wiedersieht, und sei es auch nur auf dem Bildschirm, ist das doch viel intensiver und schöner als ein Telefonat.
Der hauptsächliche Grund, dass wir heute schnellstmöglich aus Addis wegwollten, war allerdings das unfreundliche Camp, in dem wir hier genächtigt haben. Eigentlich ist es ein Hotel mit Parkplatz, auf dem die Afrikafahrer großzügiger Weise für teures Geld campen dürfen: das Itegue Taitu Hotel. Für die hiesige Oberschicht ist es eine Nobellokalität, die viele gerne zum Dinieren nutzen, für Übernachtungsgäste ist es eine heruntergekommene Unterkunft mit einem Service, der an Arroganz kaum zu überbieten ist. Fulco und Marielle, die wir hier wiedergetroffen hatten, hatten drei Tage zuvor eine schriftliche Abmahnung bekommen, weil Marielle im Badezimmer ihre Wäsche gewaschen hatte. Das sei hier nicht erlaubt, genauso wenig wie Kochen. Den Spaniern Siscu und Christina erging es nicht besser, als Christina auf dem Parkplatz Wäsche zum Trocknen aufhing. Sie wurden nachdrücklich gebeten, das Camp zu verlassen.

Siscu

Christina

Bis hierhin hätte man alles noch mit Geschäftspolitik entschuldigen können. Doch die Managerin in der Rezeption belehrt mich heute eines Besseren als ich hingehe und bitte, bei einer Klinik anrufen zu dürfen, weil es Christiane schlechtgeht. Tatsächlich sagt sie mir allen Ernstes ins Gesicht, ich solle hinfahren. „Verstehe ich Sie richtig, dass Sie mir diesen Anruf für meine kranke Freundin bei einem Arzt verweigern – ist es das, was Sie mir sagen wollen?“ frage ich Sie scharf und fixiere sie dabei mit einem durchdringenden Blick. Das verfehlt nicht seine Wirkung. Ihr wird klar, dass das das zu weit ging und fragt mich beschwichtigend nach der zu wählenden Nummer. Ich gebe ihr die Nummer einer Privatklinik, in der der Vertrauensarzt der Deutschen Botschaft arbeitet. Unzählige Male klingelt das Telefon bis schließlich jemand den Hörer kurz abhebt und sogleich wieder auflegt. Gut, dass wir nicht einfach hingefahren sind. In Christianes Zustand wäre das ein sinnloser Kraftakt für sie gewesen.
Ich gehe zurück zum Wagen und suche ein anderes, privates Krankenhaus aus einem Reiseführer, das von den übrigen Botschaften empfohlen wird. Es hat den unaussprechlichen Namen Bethzatha Hospital und ist nicht allzu weit entfernt. Erneut gehe ich zur Rezeption und verlange das Telefon. Diesmal gibt es keine Widerworte. Sofort meldet sich jemand am anderen Ende der Leitung. Ich kann mit Christiane sofort hinkommen.

In der Notaufnahme fülle ich für Christiane das Aufnahmeformular aus und werde sogleich zur Kasse gebeten für die anstehende Untersuchung. Der Betrag ist vergleichsweise gering, und nachdem ich bezahlt habe kümmert man sich umgehend um sie. Unterdessen sitzen etliche Menschen im Vorraum. Ich bin mir nicht sicher, ob sie auf ihre eigene Behandlung oder die eines Anderen warten. Doch das ist mir im Moment egal. Christianes Zustand ist so schlecht, dass sie keine fünf Minuten sitzen könnte, ohne auf’s Klo rennen zu müssen.
Nach ein paar Minuten kommt eine Ärztin und untersucht sie, und ich erkläre ihr mit dem Wörterbuch in der Hand die Symptome. Dann verschwindet sie wortlos, und wenig später erscheint ein Pfleger mit einer weiteren Rechnung. „Wir haben noch nicht einmal die Untersuchungsergebnisse bekommen, da zahle ich doch nicht schon die nächste Rechnung!“ mache ich ihm klar. Er bringt mich zur Ärztin, und sie erklärt mir, dass Christiane gegen das Dehydrieren eine Infusion bekommen soll und außerdem ein Antibiotikum. Die genaue Ursache für ihre Krankheit müsse anhand einer Blut- und Stuhlprobe untersucht werden. Dafür sei die nächste Rechnung.
Offenkundig erfolgt die Behandlung hier Zug um Zug. Ein eigenartiges Gefühl, denn in Deutschland müssen wir ja nicht viel mehr tun, als unsere Krankenversicherungskarte zu zücken. Doch die Beträge halten sich hier in Grenzen – zumindest im Vergleich zu europäischen Verhältnissen –, so dass ich nicht auch noch zur Bank muss. So gehe ich also zurück zur Aufnahme und bezahle die nächste Rechnung.
Die Stuhlprobe stellt für Christiane kein größeres Problem dar, schließlich muss sie andauernd auf’s Klo. Dann wird sie an den Tropf gehängt. Da ihr Blutdruck erschreckend niedrig ist, muss der anscheinend ohnehin nicht sehr talentierte Pfleger mehrere Anläufe unternehmen, um eine Vene zu treffen. Dabei verbraucht er zwei Kanülen, so dass ich gleich wieder zur Kasse gebeten werde. Christiane flucht unterdessen lauthals. Die Magenkrämpfe verursachen ihr schon genug Schmerzen.
Nun heißt es warten auf die Laborergebnisse. In den nächsten Stunden verbessert sich ihr Zustand stetig, bis der Tropf schließlich aufgebraucht ist. Danach nehmen Fieber und Kopfschmerzen gleich wieder zu, und zum vierten Mal zahle ich, diesmal für ein fiebersenkendes und schmerzlinderndes Mittel.
Die Laborergebnisse sind inzwischen schon längst überfällig, und ich dränge den Pfleger mehrmals, bis die Laborergebnisse schließlich vorliegen. Doch von der Ärztin ist schon lange nichts mehr zu sehen. Stattdessen sehe ich einen jungen Arzt, der ungerührt Zeitung liest. Ich frage den Pfleger, ob es einen Schichtwechsel gegeben hat und ob dies nun der diensthabende Arzt sei. Er bestätigt es, und meine nächste Frage lautet, warum der Arzt dann Zeitung liest, wenn die Laboruntersuchung bereits abgeschlossen ist.
Verlegen wendet sich der Pfleger an den Arzt und spricht kurz mit ihm. Wenig später kommt dieser tatsächlich mit den Laborergebnissen herüber und lässt sich dazu herab, sie uns mitzuteilen. In schnell und undeutlich gesprochenem Englisch erklärt er uns, dass es sich nicht um eine bakterielle Infektion, sondern um einen Virus handele. Da er mit Fachtermini nur so um sich wirft, frage ich immer wieder nach, ob ich ihn auch richtig verstanden habe, und er reagiert mit einer Arroganz, als ob er mit einem Idioten sprechen würde.
Um was für ein Virus es sich handelt, sagt er nicht. Als ich nachfrage erklärt er, dass man das genauer untersuchen müsste, doch ein Virus sei prinzipiell unkritisch im Gegensatz zu einer bakteriellen Infektion. Christianes Zustand sollte sich auch ohne Antibiotika schon am nächsten Tag deutlich verbessert haben, sonst müsste man noch einmal eine Laboruntersuchung durchführen. Dennoch werde er ihr sicherheitshalber ein Antibiotikum und außerdem ein Mittel gegen Durchfall, ein Schmerzmittel und etwas gegen das Dehydrieren verschreiben. Das klingt nicht sehr vertrauenerweckend, doch im Moment bleibt uns nichts anderes übrig, als den nächsten Tag abzuwarten. Doch zuvor heißt es noch einmal zahlen.

Letztlich soll der Arzt tatsächlich Recht behalten. Am nächsten Tag geht es Christiane wirklich wesentlich besser, und wir können Addis Abeba und dem Itegue Taitu Hotel endlich den Rücken kehren. Es geht zum Awasasee 250 Kilometer südlich von Addis Abeba. Dort in der Nähe gibt es das Adenium Camp, das ein sehr erholsamer Ort sein soll. Besonders für Christiane kommt das jetzt genau zur richtigen Zeit.

Das Lariam haben wir inzwischen übrigens abgesetzt. Stattdessen haben wir uns hier Doxycyclin besorgt. Wir wollen es nicht als Prophylaxe, sondern als Akutmittel einsetzen. Ein paar Tage später allerdings wird es noch einmal eine Änderung in unserer Malariapolitik geben, als wir erfahren, dass es ein neues, noch wirksameres und obendrein günstigeres Akutmittel gibt: Coartem. Auch dieses Mittel werden wir uns besorgen.


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